Anmerkung
in diesem Essay beschäftige ich mich ausschliesslich mit der original Star Wars Trilogie von 1977 - 1983, also mit Episoden 4 bis 6. Diese werden in diesem Artikel als OT (Originaltrilogie) bezeichnet. Die Leser*innen, die nicht mit diesen Filmen vertraut sind, möchte ich mit Nachdruck dazu auffordern, diese zu visieren, bevor sie diesen Artikel lesen, da derselbe sonst nicht verstanden wird, er Spoiler enthält und Ihnen sonst ein zentrales Stück Filmgeschichte entgeht.
Einleitung
Die kulturelle Relevanz von Star Wars muss wohl kaum hervorgehoben werden. Die zahlreichen Filme und Serien, die Ausweitung über alle Medien, die endlosen Referenzen und die Millionen Fans, die sich nach 39 Jahren noch immer laut beklagend über die mangelnde erzählerische Qualität der neueren Episoden immer wieder ins Kino quälen, sprechen für sich.
Doch woran liegt es, dass Star Wars uns keine Ruhe lässt?
Zahlreiche Artikel, Aufsätze und Abhandlungen haben sich eingehend mit dem Thema beschäftigt, nicht zuletzt auch aus psychoanalytischer Sicht (Dean & Raynor, 2017; Miller & Sprich, 1981).
Ein Grund dafür mag die märchenhafte Struktur sein, die sich schon in den ersten Worten: "A long time ago in a galaxy far, far away...." offenbart, an der man sich geniesserisch mithilfe des Psychoanalytikers Bruno Bettelheim (1976) abarbeiten kann. Ebenfalls ist es eine archetypische Geschichte nach Joseph Campbell (welcher sich in seinen Studien auf C.G. Jung bezog), nämlich die der Heldenreise, vom Aufbruch, über die Initiation bis zur Rückkehr (Becker, Burns, Singer, 2004; Campbell, 2008; Gordon, 1995). Das Ganze hat die Gestalt einer Collage mit Charakteren und Erzählelementen aus verschiedenen Kulturen, Zeitaltern und Entwicklungsstufen, von früher Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Da gibt es Ritter, Prinzessinnen, Raumschiffe, Roboter, fliegende Städte, Weltraumnazis, Samurai, Zauberer, Monster, Aliens, Cowboys, Geister, Kobolde und mehr, alles sorglos zusammengewürfelt, wie von einem Kind, das alle seine Spielfiguren in einen Sandkasten nimmt und seiner Fantasie freien Lauf lässt. Dieses Vorgehen wurde konsequent von der Story, über die Figuren, bis hin zu den spezifischen Raumschiffdesigns angewandt. Letztere sind das Produkt von sogenanntem 'Kitbashing'. Dabei werden Teile von Modellbausätzen (zum Beispiel von Schiffen oder Panzern aus dem Zweiten Weltkrieg) benutzt, um daraus etwas anderes, neues, zum Beispiel ein Raumschiff zu bauen (Onkenhout, 2022). Dies mag der Grund sein, weshalb uns auch Designs in Star Wars fremd und zugleich vertraut vorkommem, ähnlich wie die Elemente eines Traumes, die aus Tagesresten zusammengesetzt sind (Freud, 1900). Die Struktur jedoch fällt nicht auseinander, das Ganze behält eine erstaunliche erzählerische und stilistische Kohärenz, der Schicksalsfaden führt elegant vom naiven Anfang über die sich entwickelnde Tragödie, bis hin zum kathartischen Ende. Worauf ich hier besonders eingehen möchte, ist das Ödipale. Dieses scheint in Star Wars dermassen deutlich, dass die Gedanken schnell weiter schweifen. Doch, so die Meinung dieses Autors, lohnt es sich eine Weile dabei zu verharren, denn eine genauere detailliertere Betrachtung fördert manchmal doch Unerwartetes zutage.
Das Kung-Fu Narrativ
Die Geschichte der OT bildet in seinen Grundzügen ein ganz spezifisches Narrativ, die des Helden und des toten und zu rächenden Vaters, welche sich in Teilen omnipräsent durch unsere Geschichten zieht (You Killed My Father, o. J.), sich jedoch besonders schön an alten Kung-Fu Filmen aus den Siebzigern und Achtzigern mit Jackie Chan und davon inspirierte Geschichten illustrieren lässt, weshalb ich es im Folgenden als das Kung-Fu Narrativ bezeichne (Chan, 1979; Chuan, 1983; Fox, 2020; Lo, 1979; Mu, Hai-Feng, 1973; Suzuki, 1999;).
Der prototypische Ablauf einer solchen Geschichte sieht in etwa wie folgt aus:
Ein junger Protagonist lebt sorglos mit seiner Familie in seiner Gemeinschaft, verbringt den Tag mit Spiel und Schabernack, beschützt von einer benevolenten Vaterfigur. Diese mag der leibliche Vater, ein Kung-Fu Meister, der Grossvater oder Ähnliches sein. Eines Tages erscheint der Antagonist, ein böser Kung-Fu Meister, der machtgierig und von niederen Motiven getrieben die gute Vaterfigur tötet, dessen Ländereien übernimmt, eventuell sogar die Mutter oder Frau des Protagonisten raubt. Dieser Antagonist ist oft selbst im Alter der guten Vaterfigur, kann eine alte Feindschaft mit diesem unterhalten, ist mächtig und autoritär, sozusagen ein negatives Spiegelbild des Vaters: eine böse Vaterfigur. Die Welt des Protagonisten bricht zusammen, er steht vor einem Scherbenhaufen und schwört Rache, muss jedoch schmerzlich anerkennen, dass er zu schwach ist den Bösewicht zu besiegen. Der verzweifelte Protagonist wird gefunden, aufgenommen und trainiert von einem exzentrischen, geheimnisvollen alten Mann: einer grossväterlichen Figur. Dieser Grossvater ist oft streng, abwertend, lustig, letzten Endes gut. Er lehrt den Protagonisten seine pubertäre Energie und Wut zu zügeln, sodass dieser schlussendlich seine Rache vollführen kann, indem er den bösen Vater tötet, die Mutter/Frau rettet, die Ehre und das Erbe des guten Vaters wiederherstellt.
Wenn man von der klassischen Tragödie des König Ödipus von Sophokles ausgeht, wo der Sohn den Vater tötet und sich die Mutter zur Frau nimmt, wird klar, was oben genannte Geschichten bieten: eine Lösung in Form einer Spaltung, welche eingreift, bevor die Tragödie des Wunsches offenbar wird. Der ödipale Vater ist ambivalent besetzt. Er wird geliebt und gleichzeitig gehasst, wird als schützend und zärtlich erlebt, gleichzeitig als autoritär, verbietend, als Konkurrent um die Liebe der Mutter. Der Konflikt mit dem Vater ist gleichsam ein innerer Konflikt, so will der Junge den Vater lieben und töten, will sein wie er, will von ihm geliebt werden. Die ödipale Konstellation treibt die Entwicklung voran, bietet eine Chance zur Ablösung, gleichsam ist das Ganze schmerzhaft, erzeugt Schuldgefühl, Angst und Scham und lässt die ödipale Verdrängung entstehen.
Im Kung-Fu Narrativ werden die konfligierenden Wünsche des Jungen gegenüber dem Vater gelöst, indem der Vater aufgespalten wird. Es existiert ein guter und ein böser Vater, der gute wird nicht vom Protagonisten selbst getötet, sondern vom bösen Vater, was den Jungen von Schuld befreit und gleichzeitig den Konkurrenten um die Liebe der Mutter und um die Macht ausschaltet. Der Junge kann auch selbst Hand anlegen, seine Mordlust gegenüber dem Vater ausleben, indem er den bösen Vater tötet und sich dabei noch als moralischen Akteur verstehen. Der gute Vater behält seine Güte, als Erinnerung, ewig, makellos und aus dem Weg geräumt.
Der schrullige Grossvater ist eine Wunschfigur, vielleicht so wie man den Vater gern hätte. Er versorgt den Jüngling mit Weisheiten, hilft ihm stärker zu werden und sein unbändiges Gemüt zu zügeln, mit dem Vorteil, dass er aufgrund seines Alters kein Konkurrent mehr um die Liebe der Mutter oder um die Vormachtstellung in der Familie ist. Diese väterliche Figur muss nicht getötet werden, stirbt wahrscheinlich bald von selbst, fungiert dabei gleichsam als Karikatur des Vaters und noch hintergründiger als Brücke zur Identifikation mit dem ambivalent besetzten Vater: auch der Vater hat einen Vater, war vermutlich denselben Konflikten ausgesetzt (Miller & Sprich, 1981).
Eine ähnliche Erzählstruktur oder Elemente daraus haben auch viele Superhelden Geschichten oder klassische Märchen und gewiss kann einem auch Shakespeare einfallen.
Eine solche Lösung des Konfliktes durch Spaltung ist entwicklungspsychologisch in der präödipalen Zeit, also im Alter vor 4 Jahren zu verorten, wo Verdrängung noch nicht vollständig gelingt und die Spaltung noch der Normalfall ist (Klein, 1929; Mahler, 1997). Hierhin gehören die oben erwähnten Märchen.
Das Kung-Fu Narrativ, welches auch Star Wars zugrunde liegt, ist jedoch nicht direkt der prä-, sondern dem typischen Alter des Protagonisten nach zu urteilen, der postödipalen Zeit zuzuordnen. Es gehört in die Pubertät, wo ein stürmischer Widerstreit der bis dahin nebeneinander existierenden polymorphen Komponenten der Sexualität entfacht wird, welche sich danach häufig in einer neuen hierarchischen Struktur und mit einer mehr oder weniger sicheren Objektwahl, wiederfinden (Freud, 1905). Das Polymorphe findet sich in Star Wars wunderbar dargestellt durch die Collage der verschiedenen Elemente, der Widerstreit derselben durch den Krieg. So bietet diese Geschichte eine Rückversetzung in eine Zeit, wo Spaltung noch besser funktionierte, wo der Protagonist einen geradlinigen Weg von behütetem Kind zum omnipotenten Superhelden beschreitet. Es ist auch für Erwachsene wohltuend solche Geschichten zu hören, sie lullen einen ein über Nostalgie, als Regression in eine simplere Zeit (Miller & Sprich, 1981), wo Fantasien von Heldenmut und Unbesiegbarkeit das Seelenleben beherrschten, wo Ambivalenz noch nicht mühsam ausgehalten werden musste. Es entsteht Lust durch Energieersparnis.
Das Publikum, welches damals zum ersten Mal Star Wars sah, hatte wohl zahlreiche solche Geschichten konsumiert und strömte in freudiger Erwartung, eine weitere Abwandlung derselben präsentiert zu bekommen, in den Kinosaal. Es sollte ein schöner Abend werden, wo altbekanntes in neuen Farben gezeichnet wird, wo es keine grösseren Überraschungen gibt, wo man sanft von einer Geschichte über Prinzen, Prinzessinnen, Kobolde und Drachen massiert wird. Und so beginnt das Märchen...
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis
Es herrscht Krieg. Das Imperium, eine Übermacht von nazihaften Weltraumfaschisten sind daran, die Galaxie zu erobern. An ihrer Spitze der unheimliche Imperator, dessen rechte Hand: Darth Vader. Die einzigen, die sich ihnen entgegenstellen sind die Rebellen. Doch das Imperium hat eine neue Wunderwaffe: den Todesstern, mit dem sie ganze Planeten auslöschen können.
Fernab von diesem Konflikt wächst Luke Skywalker wächst auf einer Farm auf dem Wüstenplanet Tatooine auf, bei Onkel und Tante, denn seine Eltern sind schon längst gestorben. Luke pubertiert und langweilt sich, schaut sehnsüchtig in die Ferne, sich fragend, ob dies alles ist. Luke findet eine Nachricht, einen holografischen Hilferuf der Prinzessin Leia von Alderaan, welche vom Imperium gefangengenommen wurde. In der öden Wüste wirkt die schöne Erscheinung wie eine Fata Morgana, ein Ausblick in eine andere Welt. Luke trifft auf den Einsiedler Obi-Wan Kenobi. Dieser erzählt Luke von seinem Vater Anakin Skywalker, dem Weltraumritter, von grossen Kriegen und Heldentaten in der Vergangenheit, indoktriniert ihn in eine alte Religion, welche, so unklar sie beschrieben wird, eine grosse Macht (die Macht) verspricht, weckt in Luke die Hoffnung selbst des Vaters Omnipotenz zu erreichen und übergibt ihm den väterlichen Phallus, das Lichtschwert. Es geht nicht lange und Lukes Pflegefamilie wird von imperialen Soldaten getötet. Der Verlust der Eltern wiederholt sich so gleich zu Beginn, stürzt Luke in (recht kurze) Trauer und ermöglicht ihm die Freiheit, die Suche nach der Prinzessin. Das Abenteuer beginnt.
Luke lernt neue Freunde kennen, es bildet sich eine Gefährtengruppe, eine Art Patchworkfamilie, mit Obi-Wan in der Rolle des (Gross-) Vaters, dem Schmuggler Han Solo als delinquenten und coolem grossem Bruder, den Androiden C3PO und R2D2 als befreundetes homosexuelles Liebespaar und Chewbacca als triebhaftem, gewaltbereitem Harley-fahrendem Onkel/als Familienhund. Gemeinsam retten die Gefährten die Prinzessin Leia Organa von Alderaan, eine hochnäsige, liebreizende, selbstbewusste junge Frau, welche sich ihnen anschliesst. In einem Duell tötet dabei Darth Vader Obi-Wan. So verliert Luke eine weitere Vaterfigur. Doch Obi-Wan verschwindet nicht, er erscheint Luke als Stimme, als gutes internalisiertes Objekt, welches ihm hilft den Todesstern zu zerstören.
Soweit so gut.
Die zweite Episode, welche unter Fans oft als die beste der OT gilt, fährt den Kurs zunächst unbehelligt fort, es wird gekämpft, geflogen, Luke wird auf Dagobah von Meister Yoda trainiert, einem grossväterlichem, senil scheinendem Waldkobold, welcher sich jedoch als einer der grössten Jedimeister aller Zeiten entpuppt. Ebenfalls trainierte Yoda zuvor Obi-Wan, seine Rolle somit eine Potenzierung des Grossvaters, ein Urgrossvater also, welcher passend dazu über 900 Jahre alt ist. Yoda warnt vor der dunklen Seite der Macht; sie sei leichter, verführerischer. Hier finden wir eine der unheimlichsten Szenen von Star Wars. Luke muss eine dunkle Höhle betreten, darin laut Yoda, nur was er selbst hineinnimmt. Luke trifft auf Vader (jedoch nur als Halluzination), schlägt ihm den Kopf ab und findet unter dessen Maske sein eigenes Antlitz. Mit Schrecken wird seiner Projektion gewahr (Dean & Raynor, 2017).
Die Rebellen befinden sich in konstantem Rückzug, das Imperium scheint übermächtig, und so wird auch Luke in Cloud City von Darth Vader überrascht und im Kampf von niederregnenden Schwerthieben bis an den Abgrund getrieben. Dabei schlägt Vader Luke die rechte Hand ab und will ihn zum Bösen verführen, bietet ihm die gemeinsame Herrschaft über die Galaxie an. Luke bleibt standhaft auch im Angesicht des Todes, beschuldigt Vader seinen Vater getötet zu haben.
Ein klassischer Heldenfilm nach Kung-Fu Narrativ beinhaltet die Rache am bösen Vater wegen der Ermordung des guten Vaters. Genau eine solche Geschichte suggeriert George Lucas im ersten Teil der OT. Was die Fans jedoch im zweiten Teil erlebten, war eine Katastrophe. Darth Vader verrät Luke, dass er nicht der Mörder von Lukes Vater ist, nein, er ist sein Vater. Vader raubt Luke in einer totalen Kastration seine Masturbationshand, sein Schwert/Phallus, sein Streben, seine geglaubte Herkunft, ja seine ganze Existenz. Der gute und der böse Vater ist ein und dieselbe Person. Diese Aufhebung der Spaltung, wirkt traumatisch, stürzt unseren Helden und auch uns in tiefe, jedoch bekannte Verzweiflung, vor der man sich im Kinosaal in Sicherheit wähnte. Das Märchen zeigt hier plötzlich ein erschreckendes Stück Realität, der Betrachter wird aus einer Traumwelt herausgerissen und auf den kalten Boden einer albtraumhaften ödipalen Tragödie geworfen. Es ist Überzeugung dieses Autors, dass dieser Schock, dieser unerwartete Raub der vorhin so aufgebauten Unschuld der zentrale Faktor des emotionalen Einschlags von Star Wars ist.
Luke Skywalker weint, schreit, verneint, Vaders Entgegnung trifft Luke und Zuschauer tief: „Du weisst, dass es wahr ist!“ Luke sieht keinen Ausweg, stürzt sich in die Tiefe. Ob in suizidaler Absicht ist unklar. Luke wird von seinen Freunden gerettet und der zweite Teil der OT endet in tiefer Depression. Es ist dieser Moment, wo die Geschichte am dramatischten vom altbekannten Kung-Fu Narrativ abweicht. Luke ist gezwungen eine schmerzhafte Wahrheit zu akzeptieren, die erträumte Spaltung muss aufgegeben werden, die Katastrophe ist real. Wir müssen die depressive Position einnehmen (Klein, 1996).
Im nächsten Film, dem Finale der Trilogie, Die Rückkehr der Jedi-Ritter, sehen wir Luke in Schwarz. Er wirkt distanzierter, ernster, geheimnisvoll. Es ist nicht ganz klar, was in ihm vorgeht. Spürt er die Verlockung der dunklen Seite? Nach einer halsbrecherischen Rettungsaktion, wo Leia Hansolo und Luke Leia rettet, kehrt unser Held zurück nach Dagobah. Meister Yoda liegt im Sterben, bestätigt, dass Vader Lukes Vater ist und deutet an, es gebe noch einen Skywalker. Der Geist Obi-Wans verrät Luke, dass Leia seine Zwillingsschwester ist. Luke wirft Obi-Wan vor, ihm nicht die Wahrheit über Vader gesagt zu haben. Obi-Wan meint, Luke "in gewisser Weise" die Wahrheit gesagt zu haben, fordert Luke auf, Vader zu töten. Dieser weigert sich, er könne doch nicht den eigenen Vater töten, er glaube an das Gute in ihm. Hier will das grossväterliche Objekt die Spaltung, fürchtet, dass wenn Luke Gutes im Bösen sieht, er völlig dem Bösen verfallen wird, nimmt so Züge eines primitiven Über-Ich an (Kernberg, Strachey 1934). Luke fragt Leia, ob sie sich an ihre Mutter erinnert und erklärt ihr, dass sie Geschwister sind. Der Name des Vaters (Lacan, 1955-1986) und das Gesicht der Mutter setzt der vom Setting suggerierten Romanze ein Ende, verwandelt sie in eine geschwisterliche Identifikation.
Luke jedoch verweigert die von Obi-Wan geforderte Regression, er will den Vater konfrontieren, ohne Waffen, ohne Gewalt. Luke begeht hier einen pazifistisch anmutenden Weg, der Daoismus wird ungefähr hinzugezogen, denn im Guten gibt es einen Tropfen böses, sowie im Bösen Gutes: Ying und Yang. Dies die Botschaft, welche Luke seinem Vater überbringt, nachdem er sich von ihm gefangennehmen lässt. Vader gibt zu verstehen, dass es für ihn zu spät ist und überbringt Luke dem Imperator, dem bösen Grossvater, welcher in eine schwarze Kutte gehüllt die Erscheinungsform einer lebendigen Leiche annimmt. Böser Vater und Grossvater drohen Lukes Leben zu zerstören, dessen Freunde bei der Schlacht um den zweiten Todesstern zu töten. Luke verliert die Contenance, schlägt mit seinem Lichtschwert nach dem Imperator, Vader stellt sich Luke entgegen, Luke nimmt sich wieder zusammen, zieht sein Schwert zurück: „Ich kämpfe nicht gegen dich Vater!“
Doch dann droht Vader Lukes Schwester Leia zu rauben, sie zum Bösen zu bekehren. Es ist an diesem Punkt, wo Lukes Haltung vollends zusammenbricht. Er schreit, schlägt verzweifelt mit dem Schwert um sich, wie gegen ein Monster in der Dunkelheit, welches ihn und uns seit Urzeiten verfolgt. Luke schlägt im Rausch auf seinen Vater ein, zwingt ihn zu Boden, schlägt ihm die Hand ab, erst da hält er inne. Hier wird die Szene aus Episode 4 wiederholt, nur, dass es nun Luke ist, der seinen Vater entmannt hat. Hier sind wir auf dem Gebiet von Totem und Tabu (Freud, 1913) oder bei Le Soldat (2015); der Vater wird entthront, sein Phallus geraubt, er liegt gedemütigt, um Atem ringend und verkrüppelt am Boden. Luke identifiziert sich mit seinem Vater, dem Kastrat, das Leiden wird ein gemeinsames. Und gerade in diesem Moment, wo sich der Sohn mit dem Vater verbunden fühlt, tritt der böse, leichenhafte Grossvater wieder auf, fordert Luke auf, Vader zu töten, wie Obi-Wan vorhin, und dessen Platz einzunehmen.
Der Imperator ist hier als böser Grossvater ein Symbol für die Ewigkeit des bösen Vaters, als lebende Leiche eine unheimliche Wiederbelebung aller totgeglaubten bösen Väter, gleichzeitig in Anbetracht des noch lebenden Vaters eine Externalisierung, eine mögliche Lösung; das Böse des Vaters kommt nicht von ihm alleine. Er ist nicht allmächtig, wurde auch seinerseits zum Bösen verführt, zu einem Bösen, das schon lange vorher da war, weitergegeben über die Linie der Väter zurückgehend bis hin zur Urhorde. Luke weigert sich seinen Vater zu töten. Der Imperator beschiesst Luke mit magischen Blitzen, bringt ihn in Todesnähe, worauf Vader, Lukes Mitgefühl spiegelnd, den Imperator packt und ihn in einen tiefen Schacht, sozusagen zurück ins Grab wirft, wo dieser sein Ende findet.
Vader liegt im Sterben, lässt sich von Luke die Maske abnehmen, zum Vorschein kommt das Gesicht eines alten kranken Mannes. Die Höhlenszene, der innere Konflit Lukes wird gelöst in einer tragischen Katharsis zwischen Vater und Sohn. Mit seinen letzten Worten bittet Vader Luke, Leia mitzuteilen, dass er recht hatte: Es gab noch Gutes in ihm. Der Todesstern wird zerstört, das Imperium ist besiegt, Vaders Überreste werden verbrannt und sein Geist reiht sich neben Obi-Wan und Yoda in die Reihe der guten Väter ein. Die Sage ist zu Ende.
Konklusion
Nun, was haben wir gelernt? Wir konnten, wie schon so oft zeigen, dass sich grosse Geschichten psychologisch über weite Strecken mit Freud verstehen lassen, doch auch dass Freuds Lehre nach wie vor ein Gerüst ist, ein prototypischer Bauplan, welcher von Film zu Film, von Analysand*in zu Analysand*in modifiziert werden muss. Das ödipale Narrativ wurde um Linie der Väter erweitert, welche von Freud in Totem und Tabu für das Individuum angedeutet, hier in voller Blüte gezeigt wird. Der Konflikt mit dem Vater ist ebenfalls ein Konflikt mit dessen Vater. Und so wie der Vater sind die Grossväter ambivalente Figuren, evozieren Fatalismus und bieten gleichzeitig die Chance, den Vater in einen Kontext zu setzen und sich selbst so aus eben diesem Kontext zu lösen.
Weiter können wir nun, so meine ich, sagen, was die Geschichte von Star Wars so faszinierend macht. George Lucas verspricht eine wohltuende Regression, stürzt uns jedoch in die überwunden geglaubte ödipale Katastrophe, um diese dann in einer erwachsenen Katharsis aufzulösen.
Doch spätestens hier wird jeder*e vernünftige Leser*in fragen: wo bleibt der Inzest?
In den meisten Kung-Fu Narrativen spielt die Liebe und die Frauen eine Nebenrolle. Ihre Präsenz scheint dabei lediglich ein Vorwand, um den homoerotischen Kampf der Männer anzufachen, als Trophäen, als Symbole der männlichen Dominanz. Doch hier würde man Star Wars (zumindest ein wenig) unrecht tun.
Das Inzestuöse tritt am deutlichsten auf in Form von Luke und Leia. Auch hier suggeriert George Lucas einen bestimmten Weg: Protagonist und die beinahe einzige Frau in der Sage finden zusammen. Durchaus lässt Lucas auch eine gewisse Spannung entstehen. Gewisse Blicke, gewisse Momente knistern, doch die Chemie stimmt nie ganz, Luke, unser Teenager zeigt kein aktives Interesse, sondern Han. In Episode 6 erfahren wir, dass Luke und Leia Geschwister sind und die suggerierte, doch eigenartig verhaltene Romanze hat ein Ende, denn Inzest ist immer noch das grössere Tabu als Vatermord.
Leia behält über die ganze Sage eine immense Wichtigkeit. Ihre Rolle ist sowohl passiv (Gerettete), als auch aktiv (Retterin), sie wird zur Generalin der Rebellentruppen, hat eine durchwegs zentrale Präsenz. Die ödipale Liebe in Form des Kampfes um die Mutter findet über Leia statt, die Mutter selbst ist seit Urzeiten gestorben, wir haben kein Bild von ihr, sie wird fast nie erwähnt. Bezeichnenderweise fragt Luke Leia, ob sie sich an ihre Mutter erinnert, kurz bevor er ihr verrät, dass sie Geschwister sind, ist doch Leia rein aufgrund ihres Geschlechts am nächsten dran, für Luke eine Mutterfigur zu sein. Und so ist auch der (meiner Meinung nach) emotionale Höhepunkt als sich Luke wie oben beschrieben weigert seinen Vater zu bekämpfen, bis dieser droht sich stattdessen seine Schwester zu nehmen, was Luke in einen verzweifelten Ausbruch von Aggression stürzt.
Anders als in der Urhorde gibt es hier nicht viele, sondern nur eine Frau, welche gleich alle Aufgaben übernehmen muss. Sie ist Prinzessin, Geliebte, Tochter, Schwester, Mutter, Generalin, Rettende, Gerettete, phallische Frau und Sexsymbol in Einem. Ein anspruchsvoller Job, den die Weltraumprinzessin da erfüllt (Miller & Sprich, 1981). Leia, wirkt dabei auf dem Papier etwas überladen, was die Darstellerin Carrie Fischer gekonnt zu überspielen weiss. Zu Gute zu halten ist es Lucas, dass Leia eine teilweise durchaus emanzipierte Rolle hat. Sie ist nicht nur die zu rettende Trophäe, sie ist Teil der Gefährtentruppe, beeinflusst die Handlung aktiv und zielgerichtet, wenn auch ihre Emanzipation im Gewand einer männlichen Wunschfantasie daherkommt: wunderschön und dabei mit Lasergewehren schiessend.
Ich schrieb, dass uns Star Wars eine Lösung, ein Ausgang aus dem Ödipalen zeigt, doch das stimmt nicht ganz. Genauer gesagt, zeigt uns diese Sage ein Triumvirat von Lösungen: drei mögliche Ausgänge, welche im Unbewussten nach Freud einander nicht überschreiben, sondern einander zur Seite gestellt werden. In der ersten Episode (Episode 4) sehen wir das klassische Kung-Fu Narrativ; die präödipale Lösung, wo der gute Vater gerächt und der böse Vater besiegt wird. Der Held geht daraus unbescholten hervor. In der Zweiten (Episode 5) lernen wir die Wahrheit der Identität des guten und des bösen Vaters, es entsteht lähmende Ambivalenz und wir geraten in die depressive Position. Zuletzt, in der Dritten (Episode 6), erfahren wir Kampf und Katharsis, der Vater stirbt, doch wir trauern um ihn, mit einem lachenden und einem weinenden Auge geht das Leben weiter und wir sind frei.
Es ist meine Meinung, dass Wiederholungen von alten Narrativen niemals nur Wiederholungen sind, sie beinhalten stets etwas Neues, weswegen es keineswegs müssig ist, sich diesen zu widmen um sich von Neuem faszinieren und bezaubern zu lassen wie von dieser hier besprochenen Weltraum Sage, einem Märchen aus unserer Zeit.
Daniel Skoda
Literatur
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