Man hört ja viel über Lacan. Ich werde aber heute versuchen, Ihnen etwas von Lacan mitzugeben. Der schwer zugängliche Stil des französischen Autors, welcher die französische Schule stark beeinflusst hat, veranlasste mich, mich mit ihm zu befassen. Ich versuche einige Konzepte holzschnittartig für dieses Seminar zu umreissen und meine Ausführungen können deshalb nur Anreiz sein, sich weiter mit ihm selbst zu befassen. Ebenfalls unterliegen die Begriffe im Werk Lacans selbst Wandlungen in der Zeit, weshalb die hier nun genannten, v.a. die mit Rücksicht auf Verständlichkeit gewählten sind.
Lacan ist bekannt für seine theoretische Nähe zum Strukturalismus und der Linguistik. Aus seiner Ecke ertönen Begriffe wie: Das Spiegelstadium, Signifikant und Signifikat, Metonymie und Metapher, und lalangue. Er imponiert mit grossen Aphorismen wie: „Das Unbewusste ist strukturiert wie eine Sprache“, „Der Diskurs ist der Diskurs des Anderen“, „Das Begehren ist das Begehren des Anderen“ und mit seiner eigenen Topik: Das Reale, Das Symbolische und das Imaginäre.
Lacan weist darauf hin, dass Menschen in die Sprache geboren werden. Sie existiert vor unserer Geburt und beeinflusst uns noch bevor wir geboren wurden. Die symbolische Bedeutung, welche das Kind für die Eltern bei der Zeugung annimmt, stellt schon eine erste symbolische Markierung des später realen Kindes dar. Das Kind ist das Begehren der Eltern, bevor es überhaupt existiert.
Nun machen wir einen kurzen Überflug über die Entwicklung des Kindes, um gewisse theoretische Konzepte genauer fassen zu können. Das Kind hat zu Anbeginn nur den Drang, sein Bedürfnis zu befriedigen. Es stellt einen Apell/einen Anspruch durch Schreien an die Eltern. Indem die Mutter das Bedürfnis stillt, entsteht eine erste symbolische Interpunktion, eine Bedeutungszuschreibung. Doch indem sie das Bedürfnis stillt, also ihm nebst biologischer Versorgung die damit einhergehende Liebe auch gibt, so wird jeder weiterer Anspruch des Kindes unter dem Zeichen geschehen, ob die Mutter ihm die Befriedigung nun geben wird oder nicht. Dieser Zusatz ist das Begehren, welches nie abschliessend befriedigt werden kann. Es bleibt ein steter Mangel. Man kann sagen, dass das Reale, nicht symbolisierte, der Körper des Kindes somit vom Symbolischen eingenommen wird. Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass alles, was ein Kind über das Innere, über seinen Körper später weiss (d.h. Organe wie auch Gefühle), eigentlich Wörter sind. Es wurde ihm gesagt.
Das Kind wächst heran, wir kommen zum Spiegelstadium, das Lacan aufgrund von offenen Fragen zu Freuds Narzissmus Text konzeptualisierte. Das Kind wird bei seiner psychischen Geburt, d.h. zwischen 6 und 18 Monaten sich selbst im Spiegel erblicken. Lacan geht dabei von Kindsbeobachtungen aus und weist darauf hin, dass sich das Kind im Gegensatz zu Schimpansen von ihrem Bild faszinieren lassen, freudig dabei aufjubeln, wenn sie es zum ersten Mal erblicken. Der Grund dafür sieht er in einer Vorwegnahme einer trügerischen Totalität, die das Kind noch nicht erreicht hat. Es ist motorisch zu diesem Zeitpunkt noch sehr unbeholfen, kann sich kaum selbst kontrollieren. Ein Arm zappelt unkoordiniert, die Beine strampeln ins Leere. Hilflosigkeit dominiert und Lacan spricht in diesem Zusammenhang vom zerstückelten Körper. Im Spiegel erscheint das Kind aber als „Ganzes“, also als komplette Einheit. Diese imaginäre Wahrnehmung stellt mit einem Schlag die Geburt des Ichs und des Ideal-Ichs dar. Das Kind identifiziert sich mit seinem eigenen Spiegelbild. Das im Spiegel bin ich, aber ich bin auch ein anderer. Diese Entfremdung/Alienation erzeugt einerseits Faszination (Libidinöse Bindung, primärer Narzismuss) andererseits aber auch die Aggression (Neid?). Dies ist die imaginäre Achse.
Das Symbolische oder die symbolische Achse bestimmt aber, wie das Imaginäre wahrgenommen wird. Stellen wir uns nun vor, das Kind steht vor dem Spiegel und sieht sich selbst. Die Mutter steht daneben und kommentiert die Wahrnehmung des Kindes. Der Standpunkt der Mutter entspricht dem Standpunkt des Ich-Ideals. Die sprachliche/symbolische Zuschreibung verzerrt, wie das Imaginäre gesehen wird. Man müsste sich nur vorstellen, was passiert, wenn eine Mutter sich in diesem Zeitpunkt ängstlich oder sehr abschätzend über das vom Kind Gesehene äussern würde. Im Normalfall wird der Name des Kindes genannt, ein Kompliment ausgesprochen.
Wir sehen nun in dieser triangulären Szene das Reale, das Imaginäre und das Symbolische; das Ich (das Kind, das sieht), sein Identifikationsobjekt, das Ideal-Ich (sein Spiegelbild, primäre Identifizierung nach Lacan, später z.B. der Vater), Lacan nennt dies es auch den kleinen anderen, und das Ich-Ideal, die kommentierende Mutter, Lacan nennt diese Position den grossen Anderen (später auch das Gesetz und die Gesellschaft) wohin er auch die Kategorie des Symbolischen legt. Wir sehen jetzt eine imaginäre Achse, die von einer symbolischen Achse durchquert wird. Es wird nun klarer, weshalb der Diskurs der Diskurs des Anderen ist. Das, was zeit meines Lebens auf mich eingesprochen wurde, spricht in mir weiter und bestimmt mich. Das ist das Unbewusste. Auch wird klarer, weshalb das Begehren, das Begehren eines anderen ist. Dies daher, da ich mich mit dem kleinen und grossen Anderen identifiziere, ebenfalls mit deren Begehren identifiziere und somit dieses auch zu meinem eigenen wird. Diese Aufstellung hat auch technische Implikationen. Lacan meint, dass der Analytiker sich nicht auf der imaginären Achse platzieren sollte mit seinen Deutungen, z.B. indem stete Übertragungsdeutungen gemacht werden, welche nur Aggressivität erzeugen würden. Nach Lacan müsse sich der Analytiker auf die symbolische Position berufen und von dort aus deuten. Was dies bedeutet, werde ich gleich erläutern.
Das Symbolische als Kategorie lässt sich nun genauer beleuchten. Die Sprache selbst bezeichnet Lacan als eine Struktur, ein abgeschlossenes System von Zeichen, das in jedem innewohnt. Es besteht aus Signifikanten (Vorstellung des Wortlautes: Baum), welche vorerst ohne Signifikat (Vorstellung des Bildes: Baum) sind. Lacan entlehnt die Begriffe des Signifikanten und des Signifikats vom schweizerischen Linguisten Ferdinand de Saussure. Ein Signifikant könnte im Freudschen Sinne auch als Vorstellungsrepräsentanz bezeichnet werden. Lacan richtet sein Augenmerk hierbei auf die Psychopathologie des Alltagslebens, indem Freud versucht, den vergessenen Namen „Signorelli“ aufzufinden, indem er den ihm ins Gedächtnis gekommene Name: Signorelli, Boticelli, Boltraffio in seine einzelnen Segmente zerlegt. Technisch gesehen sollte der Analytiker seine Aufmerksamkeit auf diese formalen Aspekte im Sprechen des Patienten richten. Signifikanten sind jedoch nicht nur Spracheinheiten wie Phoneme oder Morpheme, sondern auch Wörter, Sprichwörter, Redewendungen, Glaubenssätze, Objekte, Beziehungen oder Symptomhandlungen. Die Bedingung, welche einen Signifikanten ausmacht, ist, dass er in ein System eingeschrieben ist, in dem er seine Bedeutung aus der Differenz zu den anderen Signifikanten erhält. Genau dies meint: Das Unbewusste ist strukturiert WIE eine Sprache. Jedes Element erhält seine Bedeutung nur in der Differenz zu einem anderen Element. Es gibt keine positiven Termini (D. Evans). Dies heisst aber auch, dass eine Bedeutung nicht eindeutig fixiert ist, sondern dass sie je nach Position in der Struktur seine Bedeutung verändert. Hier stellt sich Lacan auch gegen die Symboldeutung damals zeitgenössischer Analytiker, die in einem Signifikanten ein Signifikat entdeckt zu haben glauben (Schirm-Phallus). Er weist darauf hin, dass ein Signifikant nur auf einen anderen Signifikanten verweist, in seiner Bedeutung aber verschoben werden kann. Das Signifikat gleitet (verschiebt sich) unter dem Signifikanten. Im Extremfall wird die Bande von Signifikant und Signifikat aufgelöst, wobei wir dann bei den Sprachstörungen der Psychose angelangt wären, indem sich jeder Bedeutungszusammenhang auflöst.
Der Signifikant kann gleiten, er verschiebt sich, erhält je nach Position eine andere Bedeutung in der Signifikantenkette. D.h. im Redefluss/in der freien Assoziationen des Patienten, sind die Signifikanten miteinander in einer Kette verbunden, die jedoch niemals vollständig sein kann, da immer noch ein Signifikant angehängt werden kann. „Die Bedeutung ist nicht an einem Punkt der Kette gegenwärtig, sondern der Sinn besteht aus der Bewegung von einem Signifikanten zum anderen“ (D. Evans).
Signifikanten verschieben sich in der Kette linear, d.h. metonymisch oder ein Signifikantenkomplex entspricht in der freien Assoziation einem Pfad im Netzwerk, der die symbolische Welt des Subjekts konstituiert. Das wäre dann eine Metapher. Die Sprache funktioniert mit der Metonymie und der Metapher. Zwei Begriffe, die sich Lacan bei Jacobson entlehnt hat. Die Metonymie entspricht der Freudschen Verschiebung und die Metapher der Verdichtung. Eine Metonymie ist z.B.: „dreissig Segel stechen in See“, wobei Segel für Schiffe steht, mit denen sie auch im Zusammenhang stehen, also in einer Nachbarschaftsbeziehung. Eine Metapher, z.B. „von uns gehen“ für „sterben“ versteht Lacan als ein Ersatz eines Signifikanten für einen anderen Signifikanten mit ähnlicher Bedeutung, die beiden stehen also in einer Ersetzungsbeziehung.
Technisch legt Lacan damit den Fokus v.a. auf die formalen Merkmale des Sprechens des Analysanden, wobei man sich nicht durch eine empathische Haltung ablenken lassen sollte, die sich auf ein imaginäres Verstehen des Inhaltes (Signifikat) stützt (D. Evans). Lacan betont die Mehrdeutigkeit jedes Sprechens. Diese Mehrdeutigkeit wird in den Bildungen des Unbewussten offenbar, die nur im Spiel mit Homophonien und anderen Formen der Doppeldeutigkeit gedeutet werden können, um bestehende Bedeutungszusammenhänge infrage zu stellen und neue Assoziationen zu wecken.
Dies bringt uns zum vollen und leeren Sprechen. In Bezug auf das Sprechen des Analysanden unterscheidet Lacan zwei Arten, wie ein Subjekt sprechen kann, das auf der Suche nach seiner eigenen Wahrheit, seines Begehrens ist. Der Begriff des Subjekts bei Lacan ist zu vielschichtig, um hier auf ihn eingehen zu können.
Das leere Sprechen ist die Stützung der imaginären Beziehung durch das Sprechen. Lacans Beispiel für die „Sprachmauer” ist dort die allgemeine Verbreitung der Freudschen Grundbegriffe im allgemeinen Bewusstsein. Die Sprachmauer wird auch mit dem Freudschen Vorbewussten korrespondiert, indem unbewusste Sachvorstellungen in Wortvorstellungen umgewandelt werden (Rolf Nemitz,2). Kurz gesagt, das leere Sprechen ist das alltägliche Blablabla, der Klatsch und Tratsch, den man über sich und andere erzählt. Es ist Aufgabe des Analytikers, darauf zu achten, wann das volle Sprechen einsetzt.
Folgender Aspekt erscheint mir aber für das Verständnis des vollen Sprechens wichtig: Ich zitiere Lacan:
a) „ [das]Subjekt konstituiert sich durch die Suche nach Wahrheit“ (154). Wir suchen also unsere eigene Wahrheit (traumatischer Kern des Symptoms nach Freud) und diese Suche schafft das Subjekt.
b.) „Das Unbewusste ist das Kapitel meiner Geschichte, das als Leerstelle markiert ist oder von einer Lüge besetzt wird, es ist das zensierte Kapitel. Die Wahrheit kann jedoch wiedergefunden werden, meist steht sie bereits anderswo geschrieben.“ (98). Dies entspricht dem Verdrängten und dass dies sich anderswo zeigt.
Nun zitiere ich Rolf Nemitz von www.lacan-entziffern.de (1), da dieser in verständlichen Worten wiederbringt, was in Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse von Lacan kryptisch beschrieben wird.
„In einer Psychoanalyse versucht der Patient, eine Wahrheit, die zensiert worden ist, wiederzufinden. Diese Wahrheitssuche stützt sich auf Signifikanten – auf rätselhafte Zeichen –, in denen die Zensur umgangen wurde und in denen die Wahrheit sich bereits andeutungsweise zeigt: körperliche Symptome, Kindheitserinnerungen, Besonderheiten des Vokabulars, Familienlegenden. Das Individuum ist insofern ein Subjekt, als es die Wahrheit über sich selbst sucht, und das heisst, insofern es sich bemüht, bestimmte Signifikanten zu entziffern.“
Das volle Sprechen bezieht sich klar auf körperliche Symptome, Kindheitserinnerungen, Besonderheiten des Vokabulars, Familienlegenden, Träume und Fehlhandlungen, die die Wahrheit aus dem Unbewussten aufsteigen lasse.
Zum Schluss möchte ich noch kurz zum Konzept von lalangue eingehen. Lacan versteht den kommunikativen Aspekt der Sprache zweideutig. Einerseits spricht der Analysand zum Analytiker, andererseits enthält sein Sprechen auch immer eine Botschaft/ eine Frage an sich selbst, die der Analytiker heraushören und dem Analysanden in inverser Form zurückgeben sollte. Die Sprache zur Kommunikation, so verstehe ich es, ist langage (vs. lalangue). Im Gegensatz verweist Lacan vor dem Hintergrund seines Interesses für das psychotische Sprechen, dass es eine Sprache gibt, ohne kommunikativen Aspekt. Ein Sprechen, das nur der Jouissance/ dem Geniessen dient. Kurz zur Klärung, das Geniessen verstehe ich in seinem einfachsten Sinn als den Freudschen Primärgewinn im Symptom. Nun, was heisst das? So wie Wörter und Sätze aus Buchstaben bestehen, so besteht lalangue aus Phonemen, die durch die Homophonie und Mehrdeutigkeit zu einem Geniessen führen. Lacan behauptet auch, dass langage aus lalangue hervorgeht, so als wäre lalangue die darunterliegende Suprastruktur. Aus meinem persönlichen Verständnis möchte ich lalangue mit dem lustvollen taataataa, schaallalaa in Liedern oder dem lustvollen Aussprechen von Phonemen von kleinen Kindern vergleichen. In psychotischen Pathologien werden diese Aspekte dann wieder erscheinen.
Meine persönliche Meinung ist Folgende: Wer Lacan im Original liest, wird direkt mit Joussiance konfrontiert, mit einer schmerzvollen Lust. Er ist kaum verständlich, verschiebt Erklärungen immer nach hinten und lässt Fragen offen, doch ab und an blitzen Konzepte und Formulierungen durch, welche enorm inspirieren und das Denken kreativ anregen. Genau diesen Effekt hatte er auch auf seine Nachfolger. Lacans Denken bricht auf, stellt infrage, gibt neue Orientierungspunkte. Ob diese dann angenommen werden oder nicht, ist jedem selbst überlassen. Dennoch kann man sagen, dass seine Lehre ein Motor für weitere, moderne psychoanalytische Denker war, wie z.B. Laplanche oder Green.
Nico Stenz Psych. Msc.
Quellen:
Dylan Evans: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, 1996
Jaques Lacan: Ecrits, Éditions du Seuil, Paris 1966
Gilbert Diatkine: Jacques Lacan (Psychanalystes d'aujourd'hui), Universitaires de France, 2015
Rolf Nemitz:
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