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Die Arbeit des Negativen und Negative Halluzination

Nico Stenz MSc

Ich muss vorwegschicken, die Arbeit des Negativen ist konzeptuell nicht so klar umrissen, wie ich sie heute glauben machen will. Die Arbeit des Negativen umfasst viele Bereiche von Theorie zur Technik, zur Praxis und der Haltung des Therapeuten, von der Pathologie zur Konstitution des Menschen an sich. Betrachten Sie diese Arbeit als einen Blick durch das Mikroskop auf das Werk Andre Greens, das Ihnen helfen soll, den Einstieg leichter zu finden. Ich würde mich freuen, wenn aus den vorliegenden Texten auch eine Diskussion entstehen könnte, die sich an der Klinik orientiert. Wer weiss, vielleicht fallen Ihnen ja bei der Vorstellung meines Textes gleich einige Beispiele aus der eigenen Praxis ein. Dies nennt Andre Green "la pensée clinique", d.h. die Untrennbarkeit von Praxis von Theorie.


Die Arbeit des Negativen


Verdrängung, Verneinung, Verleugnung und Spaltung. Verwerfung. Urteilsfunktion und Realitätsprüfung. Wahrnehmungsfunktion und Erinnerungssystem. Ubw. Repräsentation. Trieb und Objekt. Narzissmus, negativer Narzissmus, Desobjektalisierung. Todestrieb. Traum und Halluzination. Der Wolfsmann. Negative Halluzination. Man spürt das theoretische Gewicht gleich beim Einstieg in das Werk Andre Greens. Die hier genannten Begriffe, sind alle Schlagwörter, welche ich Ihnen heute näher bringen möchte, damit ein Einblick in das Universum Andre Greens wenigstens im Ansatz verständlich wird. Der Grund für die immense Komplexität seiner Texte rührt von folgendem Fakt her. Andre Greens Denkweise in Theorie und Klinik ist von vier Autoren speziell geleitet, ohne dessen Kenntnis ein Zugang unmöglich erscheint. Die Titanen sind: Freud, Lacan, Winnicott und Bion. Sich weder für die eine noch die andere theoretische Richtung verschiedener analytischer Schulen entscheidend, fasst Andre Green ausgehend von den Schriften Freuds, diverse Phänomene theoretisch und klinisch ins Auge, welche einen enormen Wert für die tägliche praktische Arbeit darstellen (zumindest aus meiner Sicht). Aber worin liegt dieser Wert? Die Arbeit des Negativen setzt sich aus der heterogenen Gruppe: Verdrängung, Verneinung, Verleugnung und Verwerfung zusammen. Es sind diese Konzepte, die uns anhand ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede verstehen helfen und erlauben, von ihren Anzeichen und Auswirkungen in der Behandlung, sie als Indikatoren für die Struktur (Neurotisch, Borderline oder Psychotisch) des Subjekts/ Patienten zu interpretieren und damit den Verlauf der Behandlung abschätzen zu können.


Wer sich mit den Schriften Greens vertraut machen will, tut gut daran, sich nochmals in einige Freudsche Texte zu vertiefen. Für heute empfehle ich die Texte: Die Verneinung, Fetischismus, Ichspaltung im Abwehrvorgang und aus der Geschichte einer infantilen Neurose. Ebenfalls ist es hilfreich, die erste und zweite Topik, sowie die Narzissmus-Theorie im Hinterkopf bereitzuhalten. Ich werde heute versuchen, die Arbeit des Negativen zu beschreiben um in einem zweiten Schritt spezifischer auf die negative Halluzination einzugehen. Ich beziehe mich dabei auf die oben genannten Texte Freuds, das 7. Kapitel in "The Work of the Negative“ von Andre Green (1993), das 13. Kapitel in “Key Ideas for a Contemporary Psychoanalysis" von Andre Green (2012) und das 17. Kapitel aus "Reading French Psychoanalysis“ (2010).


Andre Green konzeptualisiert unter dem Begriff: Arbeit des Negativen ein Konglomerat von Phänomenen, welche sich in den Schriften Freuds und auch in der klinischen Erfahrung zeigen. Sowie das Konzept der Verdrängung als Prototyp für eine ganze Abwehrreihe dient, zugleich aber auch ein spezifischer Abwehrmechanismus für sich ist, so ist die Arbeit des Negativen ebenfalls allgemein und spezifisch zugleich zu verstehen. Oder anders ausgedrückt, kann die Arbeit des Negativen nicht nur von der Pathologie her gefasst werden, sondern auch als konstitutiver Aspekt der menschlichen Psyche. Aber halt! Will hier nicht wieder jemand das Rad neu erfinden? Will hier jemand nicht etwas in Freuds Werk entdeckt haben, was Freud selbst übersehen hat? Müssen wir Freud nur richtig lesen, um die Wahrheit darin erkennen zu können, wie es z.B. Lacan vorgeschlagen hat? Oder greift sich jemand vielleicht einen Teilaspekt heraus, und konzipiert daraus eigens eine allgemeine Theorie, wie z.B. Laplanche oder Klein? Nicht ganz! Andre Green bezieht sich immer wieder präzise auf Freud, verbleibt in der Metapsychologie Freuds und kennzeichnet Stellen, an denen er an die anderen oben genannten Autoren anknüpft, obwohl ich selbst oftmals den Verdacht habe, dass bei gewissen Ideen Lacan nicht explizit genannt wird. Sei's drum. Lassen Sie uns beginnen.


Die Arbeit des Negativen, was heisst das überhaupt? Das Nomen "das Negative“ ist schwer fassbar. Ist es eine Instanz, sowie es die Zensur konzipiert ist? Ist es ein Prozess, der angezeigt wird? Das Negative als Nomen findet sich in Freuds Werk nur an einer Stelle. Nämlich in den drei Abhandlungen zu Sexualtheorie heisst es: "Die Neurose ist sozusagen das Negativ der Perversion“, d.h. die Gelüste der Triebe sind verdrängt und äussern sich nicht direkt. Das Negative erscheint in Freuds Werk in vielen Aspekten aber als Adjektiv, wie z.B. in der negativen therapeutischen Reaktion. D.h. in der Neigung des Patienten jeden Fortschritt Richtung Genesung durch eine Verschlimmerung des Leidens zunichte zu machen. Andre Green sucht im Werk Freuds nach Spuren dieser Art und weist auf viele Stellen hin, wo es gefunden werden kann, z.B. im Begriff des Un-Bewussten (das Präfix Un zeigt dies an), in der Melancholie und dem Objekt-Verlust, in der Identifikation im Bezug zum Begehren und natürlich, last but not least, im Todestrieb. Ist es Ihnen nun klarer? Mir noch nicht wirklich.


Die Arbeit des Negativen wird vielleicht klarer, wenn man sich dafür einen anderen Begriff zurechtlegt. Gehen wir von Freuds erster Topik aus, dass der psychische Apparat ein Ort ist, indem in den verschiedenen Systemen Transformationen stattfinden und zwischen ihnen eine Arbeit zu deren Umformung erfolgt. Freud spricht von der Traumarbeit in der Traumdeutung, wo Wünsche und ihre Repräsentationen unter dem Druck der Zensur verschoben, verdichtet, etc. werden. Oder er spricht von der Trauerarbeit, die die Ablösung der Besetzung des Objekts und der Akzeptanz des Verlusts bedeutet. Somit könnte man bei der Arbeit des Negativen auch von einer Negativarbeit sprechen, etwas wird negativiert im psychischen. Eine hilfreiche Simplifikation ist folgende Formel: Plus und Minus. Wann immer etwas negativiert wird, so setzt man ein Minus davor, es wird abgezogen und verschwindet. Positiviert ist dann etwas, dass ein Plus erhält und dazukommt, erscheint. Darin lässt sich eine Dichotomie erkennen wie Bewusst-unbewusst, manifest-latent, desexualisiert und sublimiert, Annahme und Ablehnung. Diese Ja-Nein Logik lässt sich auf verschiedenste Bereiche der Theorie anwenden. Wenn man von der klassischen Abwehrlehre ausgeht, so müsste man meinen, dass nur das Ich "Nein" sagen kann (Ich bin jetzt von der ersten zur zweiten Topik gehüpft, folgen sie mir). Die Arbeit des Negativen lässt sich aber auf alle drei Instanzen anwenden: Das Nein des Ichs, Das Nein des Es, und das Nein des Über-Ichs.


Für mich erscheint vorerst noch ein weiterer Aspekt wichtig, um die vier Reiter der Apokalypse zu verstehen und inwiefern sie mit psychischen Strukturen zusammenhängen. In Freuds Werk betont Andre Green eine Bewegung, die von der Beschäftigung mit innerpsychischen Konflikten und unbewussten Repräsentationen ausgeht (Verdrängung oder Verwerfung) zu einer Beschäftigung mit dem Umstand, wie das Subjekt mit der äusseren Realität verfährt. Aus dem Artikel über die Verneinung von 1925 zieht Andre Green die Rechtfertigung für die Konzeption der Arbeit des Negativen. Ich gehe darauf etwas genauer ein. Freud beschäftigte sich vor 1925 mit dem Unbewussten, wobei die Verneinung eine Auseinandersetzung mit Sprache und Bewusstsein beinhaltet. Freud sagt, dass die Verneinung eine Art der intellektuellen Annahme des Verdrängten ist, bei Fortbestand der affektiven Komponente. Darauffolgend postuliert er eine intellektuelle Urteilsfunktion, die entscheidet, ob einem Ding eine Eigenschaft zu- oder abgesprochen wird und ob einer Vorstellung die Existenz in der Realität zugestanden oder bestritten wird. Die Eigenschaft könnte ursprünglich gut oder schlecht, nützlich oder schädlich gewesen sein. In der Sprache der ältesten Triebregungen (oral, somatisch? Das Nein des Es) würde dies heissen: "Das will ich essen oder will es ausspucken". Oder in weiterer Übertragung: "Das will ich in mich einführen und das aus mir ausschliessen". Das Gute soll ins Ich eingeführt, das Schlechte von sich geworfen werden. Dies betrifft also das Lust-Ich. Das spätere daraus entstehende Real-Ich hat das Interesse zu entscheiden, nicht mehr, ob etwas aufgenommen wird oder nicht, sondern ob etwas im Ich als Vorstellung Vorhandenes auch in der Wahrnehmung (Realität) wiedergefunden werden kann. Es betrifft die Frage nach dem Aussen und dem Innen, die Realitätsprüfung. Das Subjekt muss sich vergewissern können, ob das Befriedigungsobjekt auch in der Aussenwelt vorhanden ist, um sich dessen bemächtigen zu können. Dies ist gar nicht so selbstverständlich, wenn man bedenkt, wie Freud sagt, dass alle Vorstellungen von Wahrnehmungen stammen, Wiederholungen derselben sind. Damit ein Ding als real markiert werden kann, muss es in der Realität wiedergefunden werden, d.h. dass die Mutter immer und immer wieder vor dem Baby erscheinen muss, damit sie als Real und nicht nur als Imaginär abgespeichert werden kann.


Es ist nun genau diese Urteilsfunktion (Attribution und Urteil über Existenz), welche die Arbeit des Negativen kennzeichnet. Verdrängung, Verneinung, Verleugnung und Verwerfung, diese zentralen Abwehrmechanismen bilden die Dreh und Angelstelle, wenn es um die Notwendigkeit der Psyche im Sinne der Dichotomie von Ja und Nein zu antworten geht. Falls es Ihnen aufgefallen sein sollte, ich habe die Abwehrmechanismen in einer bestimmten Folge genannt, welche sich auch in Bezug zur Repräsentation und zur Wahrnehmung setzen lassen. An einem Ende die Verdrängung, als neurotischer Mechanismus, welcher die Zurückweisung und Ausschliessung aus dem Bewusstsein einer Repräsentation oder einer Affektvorstellung bedeutet. Am anderen Ende die Verwerfung, dem psychotischen Register zugeschrieben, bedeutet nach Freud in die Abwehr-Neuropsychosen (1894), dass das Ich sich so benimmt, "als ob die unerträgliche Vorstellung mitsamt ihrem Affekt nie an das Ich herangetreten wäre“. Und in der Mitte, die Verleugnung. Lassen Sie mich darauf kurz näher eingehen, da sie bei Andre Green zentral erscheint. Die Verleugnung und Spaltung beschrieb Freud sehr spät in seinen Schriften: Fetischismus (1927) und Ich Spaltung im Abwehrvorgang (1940). Während die Verdrängung Repräsentationen betrifft, so ist die Verleugnung eine Verleugnung von Wahrnehmungen. Freud begann so vermehrt einen Fokus auf die Realität zu setzen, mit dem sich das Subjekt auseinandersetzen muss. Die Verleugnung einer Wahrnehmung führt zu einem doppelten Urteil, dessen beiden Teile gleichberechtigt nebeneinander existieren. Eben eine Spaltung, eine Annahme und eine Ablehnung der Wahrnehmung zugleich. Im Beispiel vom Fetisch wird auf intellektueller Ebene der Anblick der Penislosigkeit der Mutter rational anerkannt, wobei aber gleichzeitig durch die Verleugnung ein Substitut aus der Peripherie (eben der Fetisch: Gürtel, Schuh) zur Lustbefriedigung unerlässlich wird. Natürlich ist der Fetisch nur ein Beispiel unter vielen Möglichkeiten. Der Wolfsmann, z.B. anerkannte die Kastration auf einer Ebene und benahm sich aber auf einer anderen, als ob sie nicht existieren würde. Es ist schwer, eine Spaltung und eine Verleugnung nachzuvollziehen. Aber vielleicht lässt sie sich schön in einem Zitat von einem ehemaligen Deutschlehrer von mir fassen: "Ich weiss das ich sterben muss, ich glaube es nur nicht“. Für die Klinik hat Andre Green das Konzept der Spaltung dahingehend erweitert, als dass er es als eine subjektive Loslösung des Ichs beschreibt. Eine Position, welche gleichgültig jeglicher Interpretation gegenüber ist in Hinsicht auf die Übertragung, mentales Funktionieren, bei gelegentlicher oberflächlicher Beschäftigung damit, aber ohne jegliche Auswirkung auf unbewusste Konflikte. Er unterscheidet dies von der negativen therapeutischen Reaktion und bezeichnet es als narzisstische Mauer, die den Analysanden in der omnipotenten Fantasie von Unabhängigkeit existieren lässt. Dies bedeutet einen Bruch mit der Bindung zum Objekt und in einer extremen Form auch ein Bruch mit dem Ich selbst, wobei dies ein negativer Narzissmus bedeuten würde. Ein anderer Begriff dafür: Todestrieb.

Andre Green weist darauf hin, dass diese Art von psychischem Funktionieren eben auch eine Ausrichtung in der Technik der Analyse nach sich zieht und sich mit der Frage des Urteils und dem Bezug zur Realität näher beschäftigen muss. Genau dieser Aspekt, liess Andre Green seinen Hauptfokus auf die "Drehscheibe“ Borderline legen. Eine Drehscheibe, von wo aus sich die Psychose und die Neurose verstehen lassen. Und so wie Freud sich anfänglich mit unbewussten Repräsentationen und innerpsychischen Konflikten auseinandersetzte und erst spät auf das Ringen des Subjekts mit seiner Realität einging, so setzt Andre Green an genau diesem Punkt an. Am anderen Ende des psychischen Apparats. Und hier sind wir nun, bei der negativen Halluzination.


Negative Halluzination


Das Konzept der negativen Halluzination stammt ursprünglich aus der Hypnosetherapie. Freund entschied sich für die Technik des Handauflegens, nachdem Breuer in der Hypnose einer Patientin suggerierte, dass er nicht da sei. Anschliessend nahm sie ihn nicht wahr, obschon er sich mit allen Mitteln versuchte bemerkbar zu machen. Aus der Hypnose draussen, gab die Patientin an, sich an nichts zu erinnern. Erst auf das energische Drängen von Breuer (später das Handauflegen Freuds) hin, begann die Patienten alles zuzugeben, was sie wahrgenommen hatte. Die Suggestion der Abwesenheit beruhte also auf einer externen Einwirkung. Natürlich zeigte sich das Phänomen des Nichtbewusstseins, des Nichtwissens, auch ohne die Einwirkung einer äusseren Kraft, weshalb sie eine innere annahmen. Diese innere Kraft bezeichnete Freud später als die Verdrängung. Somit fiel der Fokus der Analyse zunehmend auf die Sphäre innerpsychischer Repräsentanzen. Das Interesse an der negativen Halluzination verschwand.

Andre Green meint aber, darin einen paradigmatischen Wert zu sehen. Obschon die analytische Situation ein Setting schafft, in dem sich Unbewusstes manifestieren kann ohne aktive Nachforschung des Therapeuten, lassen sich Phänomene wie negative Symptome schwerer beobachten, als z.B. in normalen Beobachtungen (ich denke dabei an die Akutpsychiatrie) oder in der Hypnose. Anstoss für Andre Green zur weiteren Verfolgung der negativen Halluzination war eine Fussnote aus den: "Metapsychologische Ergänzung zur Traumlehre" von 1915. Sie heisst: "Ich füge ergänzend hinzu, dass ein Erklärungsversuch der Halluzination nicht an der positiven, sondern vielmehr an der negativen Halluzination angreifen müsste". Nun gut, beginnen wir auch dort. Oder halt, bleiben wir noch kurz bei Freud. Wie definiert er im genannten Text die Halluzination? "Für unseren gegenwärtigen Zusammenhang darf uns die Annahme gestattet werden, dass die Halluzination in einer Besetzung des Systems Bw. (W) besteht, die aber nicht wie normal von aussen, sondern von innen her erfolgt, und dass sie zur Bedingung hat, die Regression müsse so weit gehen, dass sie dies System selbst erreicht und sich dabei über die Realitätsprüfung hinaussetzen kann." Darauf folgt die Fussnote.


Bewusstsein, Wahrnehmung, Besetzung, Realitätsprüfung. Der Wolfsmann. Die Halluzination kann auch als Wahrnehmung ohne Objekt definiert werden, wohingegen die negative Halluzination eine Nicht-Wahrnehmung eines Objekts ist. Die negative Halluzination ist also ein Mechanismus der zwei Kategorien betrifft: Halluzinatorische Aktivität und das Negativ. Die erste bezieht sich auf die Wahrnehmung und unbewusste Repräsentationen, die zweite auf die Abwehrmechanismen der Arbeit des Negativen (Verdrängung, Verneinung, Verleugnung, Verwerfung). Sowie die Arbeit des Negativen pathologische, als auch konstitutive Aspekte aufweist, so postuliert Andre Green dies auch für die negative Halluzination.


Wenn man die Verdrängung betrachtet, so richtet sich diese, wie schon erwähnt, gegen Triebe, Affekte und Repräsentationen. Die negative Halluzination setzt aber bei der Wahrnehmung an. Ob es sich dabei um eine interne oder externe Wahrnehmung handelt, (Unterschied Wahrnehmung vs. Repräsentation) sollte nicht verwechselt werden und es ist die Aufgabe der Realitätsprüfung dies zu bestimmen. Wir müssen kurz in die Metapsychologie springen. Beschwören Sie die erste Topik vor ihrem inneren Auge herauf. Ubw. Vbw. und Bw. (W). Alles ist assoziativ verbunden. Die negative Halluzination ist ein drastischer Abwehrmechanismus, der die Wahrnehmung der Realität stark beeinträchtigt. Stellen Sie sich zwei Züge vor, die in voller Fahrt aufeinander zufahren, mit dem Risiko einer katastrophalen Kollision. Vereinfacht stellt sich so die negative Halluzination ein. Eine unbewusst verlassene Vorstellung im Ubw. droht aktiviert zu werden durch eine bewusste äussere Wahrnehmung, die den psychischen Apparat zu überfordern droht. Die Kollision droht die vorbewussten "Links/Brücken/Verbindungen" zu zersprengen und deshalb würde die Bewusstwerdung der unbewussten Repräsentation einer halluzinatorischen Wunscherfüllung gleich kommen. Dies beinhaltet die Gefahr, die narzisstische Integrität des Subjekts zu erschüttern (Ausführung der Kastration z.B.). Die einzige Möglichkeit dies zu verhindern, ist die Wahrnehmung abzuschneiden. Somit wird eine Bedeutungsfindung durch die unbewusste Repräsentation verhindert, darüber nachdenken wird unmöglich, der Trieb durchbricht die Zensur. Das von der Wahrnehmung abgezogene Investment kann beispielsweise in ein Substitut reinvestiert werden, wie im Bsp. des Fetisch. In anderen Fällen handelt es sich in den Aussagen der Patienten um Rationalisierungen, etc. Andre Green bezeichnet die negative Halluzination auch Verdichtung von Verleugnungen mit Rücksicht auf Ersatz: Verschiebung-Substitution, Verdrängung-Rationalisierung, Verdrängung-affektive Umkehrung, etc.


Nun, um das Ganze plastischer zu sehen, wenden wir uns dem Wolfsmann zu. Wer "Aus der Geschichte einer Infantilen Neurose" (1918) liest, stellt fest, dass Freud stets auf der Suche nach Brücken, nach "Links" ist, die die Symptome des Wolfsmanns erklären können. Im Hinblick auf Brücken, werde ich einen Ausschnitt vom Wolfsmann erläutern. Noch bevor der Wolfsmann Freud von seiner Halluzination als 5-jähriger Junge erzählt, meint er, dies ihm schon erzählt zu haben. Ein Fall von Faux Reconnaissance (Ich werde zum Schluss nochmals darauf zurückkommen), den Andre Green als negative Halluzination im normalen Alltag sieht. Nun, Freud schreibt: "Die anfängliche Stellungnahme unseres Patienten gegen das Problem der Kastration ist uns bekannt geworden. Er verwarf sie und blieb auf dem Standpunkt des Verkehrs im After. Wenn ich gesagt habe, daß er sie verwarf, so ist die nächste Bedeutung dieses Ausdrucks, daß er von ihr nichts wissen wollte im Sinne der Verdrängung. Damit war eigentlich kein Urteil über ihre Existenz gefallt, aber es war so gut, als ob sie nicht existierte. Späterhin finden sich gute Beweise dafür, daß er die Kastration als Tatsache anerkannt hatte. Am Ende bestanden bei ihm zwei gegensätzliche Strömungen nebeneinander, von denen die eine die Kastration verabscheute, die andere bereit war, sie anzunehmen und sich mit der Weiblichkeit als Ersatz zu trösten. Die dritte, älteste und tiefste, welche die Kastration einfach verworfen hatte, wobei das Urteil über ihre Realität noch nicht in Frage kam, war gewiß auch noch aktivierbar. Nun, die Erzählung:


Als ich fünf Jahre alt war, spielte ich im Garten neben meiner Kinderfrau und schnitzelte mit meinem Taschenmesser an der Rinde eines jener Nußbäume, die auch in meinem Traum eine Rolle spielen. Plötzlich bemerkte ich mit unaussprechlichem Schrecken, daß ich mir den kleinen Finger der (rechten oder linken?) Hand so durchgeschnitten hatte, daß er nur noch an der Haut hing. Schmerz spürte ich keinen, aber eine große Angst. Ich getraute mich nicht, der wenige Schritte entfernten Kinderfrau etwas zu sagen, sank auf die nächste Bank und blieb da sitzen, unfähig, noch einen Blick auf den Finger zu werfen. Endlich wurde ich ruhig, faßte den Finger ins Auge, und siehe da, er war ganz unverletzt.


In der Fussnote darunter fügt Freud Korrektur bei späterer Erzählung hinzu:


Ich glaube, ich schnitt nicht in den Baum. Das ist eine Verschmelzung mit einer anderen Erinnerung, die auch halluzinatorisch gefälscht sein muß, daß ich in einen Baum einen Schnitt mit dem Messer machte, und daß dabei Blut aus dem Baume kam."


Die Halluzination des abgeschnittenen Fingers bringt Freud mit der Verwerfung der Kastration in Verbindung. Was aber auffällt, ist dass bei der ersten Erzählung Blut zu erwarten wäre, es ist negativiert, Schmerz ist negativiert. In der zweiten Erzählung findet sich nun das positiv halluzinierte Blut. Die zweite Erzählung erscheint vorteilhafter, da eine Verbindung zwischen einem Schnitt und dem Blut zu erkennen ist. Für uns ist die Erzählung vom abgeschnittenen Finger ebenfalls noch präsent. Hier meint Andre Green den springenden Punkt zu sehen. Wir meinen, dass die zweite Erzählung den Fakt der Kastration näher ans Bewusstsein kommen liess. Das Blut gibt uns die Illusion das eine engere Verbidung zwischen der Wunde (Kastrationsandrohung der Nania) und dem Geschlechterunterschied hervorgekommen sei. Faktisch ist es aber so, dass die unbewusste Verbindung zwischen dem abgeschnittenen Finger und dem Geschlechterunterschied entkräftet wird. Die zweite Erzählung als Korrektur ergänzt die erste Erzählung nicht indem sie eine Bedeutung hinzufügt, die vorhin nicht da war. Eine Halluzination wird einfach durch eine weitere ersetzt. Es findet keine vertiefte Elaboration zu unbewussten Inhalten (Kastration) statt. Ich füge hinzu, so meine ich, es findet keine Nachträglichkeit statt.


Ich möchte mit einem lebensnahen Beispiel schliessen um die negative Halluzination spürbar zu machen. Déjà-vu. Eine Wahrnehmung im Alltag hat das Risiko eine unbewusste Repräsentation (d.h. an eine einstige Vorstellung) zu wecken, welche das psychische Gefüge zu sprengen droht. Die Wahrnehmung der innerpsychischen Repräsentation wird abgeschnitten und was übrigbleibt, ist die Verbindung, dies schon einmal erlebt zu haben. Die Psyche sagt: "Da warst du doch schon mal", dies um den Fakt zu verdecken, dass wir wirklich schon mal hier waren in unserer Erinnerung, aber davon sollten wir nichts wissen. Die initiale Wahrnehmung wird nicht durch eine Bedeutung von innen her angereichert, sondern nur das Gefühl der Wiederholung und die Unsicherheit in der Realitätsprüfung bleibt. Die negative Halluzination ist die Repräsentation der Abwesenheit einer Repräsentation.


Quellen


Birksted-Breen, D. E., Flanders, S. E., Gibeault, A. E., Alcorn, D. T., Leighton, S. T., & Weller, A. T. (2010). Reading French Psychoanalysis. Routledge/Taylor & Francis Group.

Freud, S. (1894). Die Abwehr-Neuropsychosen. GW 1.

Freud, S. (1900). Die Traumdeutung. GW 2.

Freud, S. (1905). Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW 5.

Freud, S. (1915). Metapsychologische Ergänzung zur Traumlehre. GW 10.

Freud, S. (1915). Trauer und Melancholie. GW 10.

Freud, S. (1918). Aus der Geschichte einer infantilen Neurose. GW 12.

Freud, S. (1920). Jenseits des Lustprinzips. GW 13.

Freud, S. (1925). Die Verneinung. GW 14.

Freud, S. (1927). Fetischismus. GW 14.

Freud, S. (1940). Die Ichspaltung im Abwehrvorgang . GW 17.

Green, A. (1999b). The Work of the Negative (A. Weller, Trans.). London: Free Associations Press. (Originally published 1993).

Green, A. (2012). Key ideas for a contemporary psychoanalysis: Misrecognition and recognition of the unconscious. Routledge.



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